Die Wahlen im Irak, ihre Auswirkungen auf die Region und eine ratlose Weltmacht.

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Prallen zwei Weltbilder aufeinander, kann die
Beurteilung ein und derselben Sache sehr unterschiedlich ausfallen. Auf
der einen Seite steht die Ansicht, Amerika könne aufgrund seiner
wirtschaftlichen, militärischen und nicht zuletzt ideologischen Stärke
die Welt nach seinem Vorbild formen, vielmehr habe sogar die Pflicht
dazu. Diese Chance habe sich im Mittleren Osten ergeben und musste
genutzt werden. „Shit happens“, kommentiert Andrew Denison eher
beiläufig, als er auf die absehbaren Schwierigkeiten der US-geführten
Intervention hingewiesen wird. Wer agiert, der mache eben auch Fehler.
Eine Welt ohne Saddam Hussein sei immer noch besser und sicherer, als
eine Welt mit ihm. Die Lügen und Widersprüche bei der „Legitimation“
dieses völkerrechtswidrigen Krieges führt der Politikwissenschaftler
und Publizist auch auf die Anforderungen des US-amerikanischen
Regierungssystems zurück. Eine Demokratie müsse sich eben immer vor
ihren Bürgern rechtfertigen und die Wahlen im Irak: sicher ein Erfolg.
Das ist für Denison ganz klar.
Zwei Stühle weiter sitzt mit verschränkten Armen Ludwig Watzal und
schüttelt den Kopf. Für ihn sind die Wahlen primär eine Rechtfertigung
für die Okkupation des Irak. Die sogenannte Souveränität sei von den
USA abgeleitet worden – ein Widerspruch in sich. Anstatt von Befreiung
spricht der in Bonn lebende Publizist und freie Journalist von einer
Ausplünderung des Landes durch die USA. Warum sonst hätten sich die
Soldaten direkt nach dem Einmarsch um das Öl, nicht aber um die
Menschen gekümmert? Locker schüttelt Watzal einen Kritikpunkt nach dem
anderen aus dem Ärmel und bekommt dafür auch Unterstützung aus dem
Publikum. Das ist geprägt von der durchweg kriegskritischen
Berichterstattung der deutschen Medien.
Umso spannender, wenn Aktham Suliman, Journalist beim arabischen
Fernsehsender Al-Dschasira, seine Einschätzung der Dinge in einer sehr
bildhaften, bisweilen zynischen Sprache erläutert. Demokratie sei eben
kein Kuchen, mit dem man durch die Gegend läuft und jedem ein Stück
abgibt. Dieser etwas bizarre Vergleich bringt ein Kernproblem zur
Sprache, welches noch immer ungelöst ist. Wie lässt sich in einem
autoritär geführten Regime, in dem die Menschen entmündigt und
unterdrückt sind und eine Zivilgesellschaft kaum vorhanden ist, wie
lassen sich unter solchen Umständen demokratische Strukturen nach
westlichem Vorbild etablieren? Und kann dies überhaupt das Ziel sein?
Sind die Menschen denn willig, ja vielleicht nicht einmal fähig in
einem Staat zu Leben, in dem Herrschaft immer wieder neu durch das Volk
legitimiert werden muss, in dem ein permanenter Streit von Meinungen
möglich sein muss und Konflikte in Ausschüssen, nicht mit Gewehren
gelöst werden?
Thomas Speckmann vom Haus der Geschichte brachte dann die Gemüter
mancher Anwesender zum Kochen als er folgende These aufstellte: Die
Ausmaße des Ersten und des Zweiten Weltkrieges seien dermaßen
verheerend gewesen, dass die europäischen Völker aufgrund dieser
Erfahrungen dem Krieg in Europa nun völlig abgeschworen hätten. Erst
durch die völlige Zerstörung, sei ein dauerhafter Frieden möglich
geworden. Diese Erfahrung fehle vielen arabischen Staaten, weshalb
Kriege in der Region noch wahrscheinlicher wären, als in unseren
Breiten. Speckmann nahm für sich in Anspruch, die aktuellen
Verhältnisse in ihren historischen Kontext einzuordnen und so manch
politisierende Aussage seiner Mitstreiter zu relativieren. War die
Regierung Schröder wirklich pazifistisch eingestellt, als sie den
Amerikanern die Benutzung der Militärbasen erlaubte und deutsche
Offiziere in den Aufklärungsflugzeugen mitfliegen ließ?
„Orientation“ nennt sich die studentische Initiative, welche die
Diskussionsrunde „Dominodemokratie“ im Bonner Haus der Geschichte am
vergangenen Donnerstag ins Leben gerufen hatte. Sie wollen eine
Brückenfunktion zwischen der wissenschaftlichen Forschung und der
Öffentlichkeit einnehmen, eine Art Vermittlerrolle zwischen der
islamischen Welt und dem „Westen“. Das ist ein hoher Anspruch. Was
ihnen an diesem Abend wieder gelungen ist, ist die Mobilisierung von
Argumenten über ein Thema, über das in Deutschland wohl jeder
irgendeine Meinung vertritt. Wer aufmerksam zugehört hat, der konnte
sich um einige interessante Aspekte und Zusammenhänge bereichern.